Bild: Ingenbleek Photography

Benjamin von Stuckrad-Barres Panikherz ist vieles: Der Autor selbst nennt es ein Memoir, der Spiegel „eine brillante Erzählung“. Man könnte es aber auch einen fünfhundertzweiundsechzigseitigen Rausch oder eine einzige große Liebeserklärung an Udo Lindenberg und dessen Musik nennen. Im Endeffekt kann man an dieser Stelle aber dem Autor trauen. Denn auf den bereits genannten 562 Seiten findet man in erster Linie eines: Die sehr persönlich erzählte Lebensgeschichte Stuckrad-Barres, angefangen bei seiner Kindheit im Bremer Umland, über seine Jugend in Göttingen, bis hin zum Leben in verschiedenen großen Städten Deutschlands und auch immer wieder der Flucht von dort: in die Schweiz, ins Kloster, ins Hotel, in den Rausch.

Stuckrad-Barre erzählt von seinen ersten schriftstellerischen Versuchen bei einem kleinen Göttinger Stadtmagazin, seinem rasanten Aufstieg durch den Erfolg des ersten Romans Soloalbum und dem Totalabsturz, der bald darauf folgte. Ein Name, der neben dem von Udo Lindenberg immer wieder Erwähnung findet, ist der von Harald Schmidt. Stuckrad-Barre bewunderte die Schmidt-Show, bevor er selbst als Autor für sie arbeitete. Schmidt selbst lobte das Soloalbum auf dem Buchumschlag und las mit Stuckrad-Barre auf dessen Lesungen. Durch Schmidt lernte Stuckrad-Barre allerdings auch, was es heißt, bei einem Menschen wirklich in Ungnade zu fallen:

„Harald Schmidt ging wieder auf Sendung, jetzt in der ARD, ich ahnte, ja wusste, was er von mir als öffentlicher Figur in jüngster Zeit hielt, gar nichts natürlich. Und deshalb hoffte ich, dass seine Show schlecht sei, dann könnte ich ihn auch blöd finden. Mich und mein öffentliches Auftreten zuletzt, die DROGENBEICHTE und so dies und das an publik gewordenem und von mir gemachtem Privatzeugs, all das mit Schmidts Sezier-Augen zu sehen, was ich ja konnte, hatte es schließlich ein Jahr lang beruflich gemacht, war unerträglich.
[...]
Leider war Schmidt großartig, wie immer, in jedem Stadium, er trug einen Bart und ihm war offenkundig mehr denn je alles wurscht. Man freute sich einfach, dass er wieder da war. Und dann kündigte er den Gast Adam Green an, dessen ödes Songwriterschluffitum gerade der heiße Scheiß war, obendrein hatte er ein Gedichtbändlein bei SUHRKAMP veröffentlicht und war also der Hipster der Stunde, ekelhaft – beziehungsweise schade, dass ich selbst das nicht war. Ich saß, nein lag vollkommen abgedichtet vorm Fernseher und hörte Schmidt zu Andrack sagen, dem Indie-Andrack, der bestimmt großer Fan von Adam Green war, Nick-Hornby-Parodie, die er immer war; wie also Schmidt jetzt wirklich sagte, oder war das die Kokainparanoia?, dass er erst gedacht habe, als er Fotos von Adam Green sah, es handele sich um ‚Stuckrad-Barre, der sich als Herlinde Koelbl verkleidet hat‘.
Alles klar.
Da waren wir also.
Ich war ein Verstoßener.“ (S. 384 f.)

In Los Angeles am Hotel-Pool, Stuckrad-Barre erzählt sein Memoir von hier rückblickend, trifft er auf den Theaterschauspieler Michael Maertens. Beide unterhalten sich auch über Harald Schmidt. Michael Maertens, so stellt sich heraus, hat zwölf Jahre zuvor mit Harald Schmidt zusammen im Ensemble des Bochumer Schauspielhauses Samuel Becketts Warten auf Godot gespielt.

(pb)

Stuckrad-Barre, Benjamin von: Panikherz. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2016.

Zitat aus: Benjamin von Stuckrad-Barre „Panikherz“ © 2016 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln

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