Eine junge Frau arbeitet als Bedienung in einem Bahnhofscafé. Ihre besondere Fähigkeit: Sie kann in den Gesichtern der Kunden lesen. Die Brotbestellung, das Tagesbefinden oder vielleicht sogar die komplette Lebensgeschichte. All das liest die junge Frau aus den Gesichtern der Leute, bevor sie auch nur ein Wort gesagt haben. Eine rätselhafte Begegnung mit einem Mädchen, welches alleine im Café sitzt und beim Verlassen ihren Ring liegen lässt, führt bei der jungen Frau zu einer Kurzschlusshandlung: Sie schnappt sich den Ring, verlässt ihren Arbeitsplatz und steigt in den nächstbesten Zug.

In Sarah Meyer-Dietrichs Immer muss man mit Stellwerksbränden, Streiks und Tagebrüchen rechnen folgen wir dieser Protagonistin nun auf einer Fahrt durch das Ruhrgebiet. Von Castrop-Rauxel nach Dortmund, nach Bochum und vorerst weiter nach Duisburg. Unterwegs trifft sie auf immer neue Leute, tauscht den Ring gegen ein T-Shirt, das T-Shirt gegen eine Mappe und diese wiederum gegen einen anderen Gegenstand. Mal mit, mal ohne das Wissen des Gegenübers. Während der Fahrten liest sie in den Gesichtern ihrer Begegnungen und malt sich die Geschichten dahinter aus. Mehr und mehr verschmilzen diese auch mit ihrer eigenen Geschichte. Was davon wahr ist, was falsch: Man vermag es nicht mehr zu erkennen.

Eine der Episoden führt den Leser von einem Schirm zu einem Buch, von Gelsenkirchen-Buer nach Essen ins Museum Folkwang, direkt in eine Vierecksbeziehung zwischen einer Kunst-Dozentin, einer ihrer Studentinnen, dem Mann der Dozentin und einem Gemälde von Max Pechstein.

(pb)

Meyer-Dietrich, Sarah: Immer muss man mit Stellwerksbränden, Streiks und Tagebrüchen rechnen. Bottrop: Henselowsky Boschmann 2016.

Hermann Max Pechstein: Mädchen am Tisch

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